Geschichte der Reitkunst

 

Wenn man sich ernsthaft mit der Reiterei als Kunst beschäftigt, sind gewisse theoretische Kenntnisse nötig. Dazu gehört auch das geschichtliche Hintergrundwissen zur Entwicklung der Reitkunst. Besonders interessant ist es, weil die Pferde immer eng mit unserer Kultur verbunden waren und sich der Zeitgeist der Epochen auch in der jeweiligen Art zu Reiten wiederspiegelt.

Persischer Reiter
Persischer Reiter

Wiege der Reiterei

Die gemeinsame Geschichte von Mensch und Pferd ist schon viele Jahrtausende alt. Die Menschen haben früh gemerkt, dass man die Stärke und Schnelligkeit dieses gelehrigen Tieres im Krieg oder der Feldarbeit nutzen kann.

Der älteste Hinweis auf einen Reiter stammt von etwa 2800 v.Chr. aus dem Orient. Hier liegt auch die Wiege der Reiterei: Im Nahen Osten, also Persien, Syrien, Irak. 

 



Antike

etwa 800 v.Chr. - 500 n.Chr.

In der Antike wurde das Wissen um die Reitkunst aus dem Osten auch in die westlichen Zivilisationen gebracht - meist durch kriegerische Auseinandersetzungen. So lernte beispielsweise Xenophon (einer der ersten Reitmeister) von der reiterlichen Überlegenheit der Perser im Kampf.

Der hauptsächliche Zweck der Reiterei lag also in ihrem Nutzen für das Militär. Man brauchte wendige, spurtstarke und gehorsame Pferde für einen schnellen Angriff und Rückzug, Geländeaufklärung oder Distanzbeschuss mit Speeren.

Daneben wurden auch einige Pferde für repräsentative Zwecke bei Paraden o.Ä. ausgebildet. Aber gleich für welche Aufgabe das Pferd vorgesehen war, das Ziel war immer ein zuverlässiges, williges, wendiges Pferd - denn im Kampf hing das Leben des Reiters davon ab.

Daher erkannte Xenophon schon vor 2500 Jahren: "Dein Pferd sei zuverlässiger Freund, nicht Sklave."

 

Antike - Galoppphasen
Antike - Galoppphasen


Mittelalter

etwa 500 n.Chr. - 1400 n.Chr.

Über die Reiterei zu Zeiten des Mittelalters existiert ein oftmals verfälschtes Bild, es wird vom Verlust der Reitkunst und brutalen Ausbildungsmethoden der Ritter gesprochen. Das stimmt so nicht unbedingt. 

Die Reiterei der Ritter war besser als ihr Ruf - zeitgenössische Gemälde belegen bereits den Gebrauch von Kunstgangarten wie dem Terre à terre oder Schulsprüngen.

Durch den nun aufkommenden Nahkampf mussten die Pferde wendiger, also versammelter, als zuvor sein - was eine gründlicherer Ausbildung bedingte.

Zudem gab es nicht nur die schweren Streitrösser (die weniger massig und behäbig waren als man meint), sondern auch einen leichten, temperamentvollen Pferdetyp (Courseur) der vornehmlich zum Reisen gebraucht wurde.

Allerdings sind uns aus diesen Jahrhunderten leider keine schriftlichen Werke über die Reitkunst überliefert.

Uccello - Die Schlacht von San Romano (~1440 n.Chr.)
Uccello - Die Schlacht von San Romano (~1440 n.Chr.)


Renaissance

etwa 1400 n.Chr. - 1620 n.Chr.

In der Renaissance machte die Entwicklung der Reitkunst einen Sprung vorwärts, besonders dank der Gründung zahlreicher Reitakademien in ganz Europa. Die erste wurde in Neapel (Italien) von Frederico Grisone Mitte des 16.Jhd. gegründet. Tatsächlich haben alle folgenden wichtigen Reitmeister entweder selbst in Neapel gelernt oder über ihren Lehrer die Einflüsse der italienischen Schule mitbekommen.

Auch der wohl bekannteste Reitmeister dieser Zeit, der Franzose Antoine de Pluvinel, lernte 6 Jahre an der Reitakademie von Grisone.

Noch immer ist die Reiterei stark zweckgebunden, die Pferde werden für den Einsatz im Krieg ausgebildet. Da Versammlung und Wendigkeit überlebensnotwendig sind, findet auch die Ausbildung und Gymnastizierung der Pferde auf engstem Raum statt - meist auf Volten.

Der Schwerpunkt der Ausbildung liegt auf der ´Kampfgangart´ Terre à terre sowie den Schulsprüngen.

Aus dem Werk von A.de Pluvinel: Schulsprung auf der Volte
Aus dem Werk von A.de Pluvinel: Schulsprung auf der Volte


Barock

etwa 1630 n.Chr. - 1800 n.Chr.

Zur Zeit des Barock erlebte die Reitkunst ihre Blütezeit. Durch den Rückzug des Adels vom Schlachtfeld war die Reiterei nicht mehr zweckgebunden - das Reiten wurde zur reinen Kunstform `l´art pour l´art´, also ´Kunst für die

Kunst´. 

Noch immer erlernte jeder junge Edelmann die Reitkunst, aber nur noch zur reinen Repräsentation. Auch die Pferdeausbildung veränderte sich etwas, das Ziel des Ganzen war nun, das Pferd möglichst schön, stolz und an unsichtbaren Hilfen präsentieren zu können. Es sollte gelenkig, folgsam, bequem und stark versammelt sein.

Zur Zeit des Barock wirkte einer der größten Reitmeister überhaupt: Francois Robichon de la Guérinière (um 1700). Alle folgenden Reitmeister orientierten sich an seiner Lehre, so legte er beispielsweise den noch heute gültigen Reitersitz fest, entwickelte das Schulterherein weiter und prägte die pferdefreundliche, sanfte Ausbildung und die Leichtigkeit.

Ein weiterer sehr wichtiger, aber leider weniger gewürdigter, Reitmeister des Barock ist William Cavendish, Duke of Newcastle (Mitte 17.Jhd.). Sein Verdienst war es, zumindest für kurze Zeit die Reitkunst auch nach Großbritannien zu bringen.

Doch hier kam Ende des 18.Jhd. die Begeisterung für Pferderennen und den damit einhergehenden, leichteren Pferdetyp auf und verbreitete sich über ganz Europa. Gemeinsam mit der Entwicklung der Feuerwaffen war das ein Schlag für die Reitkunst, von dem sie sich lange Zeit nicht erholt hatte.

Baron von Eisenberg - Piaffe (um 1766)
Baron von Eisenberg - Piaffe (um 1766)


Neuzeit

etwa ab 1800 n.Chr.

Mit der französischen Revolution endete auch das Zeitalter des Barock und dessen Vorliebe für Schönheit, Pomp und Zierde.

Die Reiterei wurde wieder kriegsorientiert und ´schlicht´. Dadurch dass man möglichst viele Pferde und Reiter in kürzester Zeit ausbilden musste und durch das Aufkommen des neuen Pferdetyps (Vollblüter), waren die Reitlehren der alten Meister nicht mehr zeitgemäß und passend. Die Forderung nach mehr Vorwärts, nach Schnelligkeit und nach wenig Versammlung machte eine neue Reitlehre nötig.

Hier setzte Francois Baucher (19.Jhd.) an. Er änderte die alten Lehren so ab, dass man sie auf die neuen Rechteckpferde anwenden konnte. Außerdem fügte er einige neue Schulen hinzu, z.B. die Galoppwechsel von Sprung zu Sprung. In Deutschland war es Gustav Steinbrecht (19.Jhd.), der eine ´neue´ Reitlehre verfasste. Er kombinierte die moderne Schnelligkeit mit dem versammelten Reiten im Nahkampf und gilt noch heute als Vorlage der deutschen Reitlehre (H.D.V.12).

War Jahrtausende lang der Adel der Träger der Reitkunst, wurden es nun die Offiziere. 

Im 20.Jhd. erschien in Portugal einer der brilliantesten Reitmeister überhaupt: Nuno Oliveira. Seine Reitkunst beruhte auf einer Kombination der Lehren von Baucher, Steinbrecht und der Alten Meister. Seine Reiterei war reine Kunst, sehr individuell an das jeweilige Pferd angepasst und diente nur dem Wohl des Pferdes.

Francois Baucher mit dem Vollblüter Partisan (um 1840)
Francois Baucher mit dem Vollblüter Partisan (um 1840)